In diesem Jahr ist der 8. Mai zum ersten Mal ein offizieller Gedenktag in Schleswig-Holstein. Das ist gut, denn es ist der Tag der Befreiung von einem menschenverachtendem Regime in Deutschland. Er ist der Ausdruck dafür, dass es nie wieder Faschismus in unserem Land geben darf. Aus diesem Grund haben wir heute eine Andacht beim Denkmal für die Kriegsgefangenen auf dem Elmshorner Friedhof abgehalten und den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Der Blick zurück zeigt, wie wichtig es ist die Grundrechte des Grundgesetzes und damit unsere Freiheit zu verteidigen.
Dazu einige Auszüge aus unserer Andacht.
Zwangsarbeiter in Elmshorn
In vielen Elmshorner Betrieben musste, wie überall im Deutschen Reich, von Zivilpersonen und Kriegsgefangene Zwangsarbeit verrichten werden. Vielfach waren die Zwangsarbeiter eingesetzt in den Betrieben der Nahrungsmittelindustrie, z B. in der Berliner Straße – wo eine Hinweistafel darauf aufmerksam macht. Die Stadt Elmshorn hat ebenfalls Zwangsarbeiter beschäftigt.
Insgesamt wurden im Laufe des Krieges weit mehr als 2000 Personen in 242 Elmshorner Betrieben unter Zwang beschäftigt. 45 Prozent von ihnen waren unter 21 Jahre alt, 5 Prozent zwischen 11 und 15 Jahren und 20 Prozent zwischen 16 und 18 Jahren alt. Die meisten von ihnen kamen aus Polen und weitere aus der Sowjetunion. Sie mussten sich per Erlass mit einem „P“ am Arm kennzeichnen.
Nach der Rassenideologie der regierenden Nationalsozialisten galten sie als minderwertige Menschen und wurden überwiegend menschenunwürdig behandelt. Dazu ein paar Beispiele:
Im Alter von 22 Jahren wurde der Zwangsarbeiter Stanislaus Pade hingerichtet. Alles was er getan hat, war Lebensmittelmarken zu sammeln und aufzubewahren, um damit anderen Menschen zu helfen. Ihm wurde angelastet die Marken gestohlen und zu sehr teueren Preisen weiterverkauft zu haben. Um Ängste unter den Zwangsarbeitern zu schüren wurde die Hinrichtung propagandistisch ausgeschlachtet und groß in den Unterkünften der Zwangsarbeiter durch Plakate ausgehängt.
Eine polnische Zwangsarbeiterin war Kinga Napierala. Sie wuchs in Posen auf und ging dort zu Schule. 1939 begann sie eine Berufsausbildung. Mit 17 Jahren wurde sie nach Deutschland abtransportiert. Am 25. Mai 1940 hielt sich Kinga Napierala allein in ihrem Elternhaus auf. Drei Männer von der Gestapo sind frühmorgens in die Wohnung eingedrungen. Sie wurde barfuß aus der Wohnung abgeführt. Mit vielen anderen wurde sie vor die Stadt gebracht zu einem großen Gebäude mit Duschgelegenheiten. Alle mussten sich nackt ausziehen und duschen. Am Nachmittag wurden sie zum Bahnhof gebracht. Niemand wusste wohin sie kommensollten. In Elmshorn angekommen, wurden sie wie eine Sklavin behandelt. Der Gartenunternehmer Horstmann hat mit dem Finger auf sie gezeigt: „Die da soll kommen“. Den Eltern wurde nicht gesagt, was mit ihrer Tochter geschehen ist. Kinga Napierala ist allerdings 1942 die Flucht zurück nach Polen gelungen.
Die Arbeitskräfte in Polen wurden häufig unter dem Einsatz von Gewalt verschleppt. Grundlage bildete die Einführung einer Arbeitspflicht und der Aufbau eines Arbeitsamts im besetzten Polen. Es wurden laut Gesetz schwere Strafen angedroht, für diejenigen, die sich dieser Arbeitspflicht entziehen.
Im Jahr 1945 hielten sich 2165 Zwangsarbeiter in Elmshorn auf. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 18 und 20 Jahren. Die jüngsten Zwangsarbeiter waren 11 Jahre alt. Viele der Zwangsarbeiter, die auf dem Grabstein in Elmshorn stehen sind aufgrund der Bombenangriffe durch die Briten verstorben. Sie wurden während der Bombardierung in den Baracken eingeschlossen. Die Luftschutzräume standen ausschließlich der deutschen Bevölkerung zur Verfügung. Es gibt Berichte, dass Zwangsarbeiter, die bei der Entschärfung von Blindgängern eingesetzt worden sind und dass Kleinstkinder wegen Unterernährung auf einem Bauernhof in Kölln-Reisiek eingesetzt worden sind.
88 Zwangsarbeiter sind im Sterbelager bei Kaltenkirchen durch Lungenentzündung, TBC, Unterernährung, Tüfus gestorben. 30 Zwangsarbeiter (die Meisten von ihnen unter 16 Jahre wurden ins KZ gebracht und sind dort vergast worden.2 Zwangsarbeiter wurden hingerichtet, es gab mehrere Selbstmorde – unter anderem von einer Mutter, die mit ihrem Baby Selbstmord im See im Lieth er Wald begangen hat. Darüber hinaus haben 1-2 Hinrichtungen stattgefunden.
Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten – Befreiung für die Menschen
Der 8. Mai 1945 ist ein entscheidender Tag in der Geschichte – es ist der Tag der Befreiung, vor allem für diejenigen Verfolgten, die es bis zum Kriegsende geschafft haben zu überleben. Fast 20 Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene sind dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Neben dem Blick zurück ist aber auch der Blick nach Vorne entscheidend. Denn aufgrund der gemachten Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat wurden insbesondere die Grundrechte im später geschriebenen Grundgesetz tief verankert.
Dazu zählen unter anderem der Schutz der Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Person, Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren, das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz, das Grundrecht auf soziale Teilhabe, die Glaubens- und Gewissenfreiheit, die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, das Recht der Kriegsdienstverweigerung, Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, Recht auf Schulwahl, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis, Asylrecht, Unverletzlichkeit der Wohnung, Petitionsrecht, Widerstandsrecht, Wahlrecht und zum vorherigen Bezug auch das Verbot der Zwangsarbeit.
Auch das Grundgesetz hat sich weiterentwickelt und es gab zu einzelnen Inhalten auch immer wieder gesellschaftliche Auseinandersetzungen – aber insbesondere die Verankerung der Grundrechte war eine unmittelbare Antwort auf das ganze Unrecht was zuvor in Deutschland geschehen ist.
Für diese Werte und für die Demokratie gilt es einzustehen. Geschichte darf sich nicht wiederholen. Sie lebt insbesondere von den Erinnerungen der Lebenden, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.
Doch die Geschichten der Zeitzeugen wird es irgendwann nicht mehr geben. Dann werden es die weitererzählten Geschichten sein. Und so kann es passieren, dass Geschichte zerfließt.
Lasst uns Zeitzeugen zu den Ereignissen anhören und lasst uns unseren Beitrag leisten, die Geschehnisse nicht zu vergessen, sondern auch nachfolgenden Generationen zu überliefern. Und lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass sich diese traurige Geschichte nicht wiederholt. Lasst uns lieber den Aufbruch verkünden, für eine freie demokratische Gesellschaft.